The tree of life (Alexandre Desplat) - Filmmusik-Analyse



Trailer



                                                                      Alexandre Desplat - Interview



The tree of life ist einer der wohl am konträrsten zu betrachtenden Filme des letzten Jahres. Seine Premiere feierte er bei den internationalen Filmfestspielen in Cannes. Diese wurde von Buhrufen und tosendem Beifall gleichermaßen begleitet. Am Ende sprang die goldene Palme für ihn heraus, was die höchste Auszeichnung in Cannes darstellt. Regisseur Terrence Malick war bei der Zeremonie offiziell nicht anwesend, was allerdings nicht sehr verwunderte. Gerüchten zufolge sei er in Kapuze und Mantel und wahrscheinlich falschem Schnurrbart, irgendwie doch hineingeschlichen und habe der Veranstaltung beigewohnt, aber das bleiben wohl vorerst Spekulationen. Im Internet existieren sehr wenige Bilder von ihm, darunter keine aktuellen. Über sein Leben sind nur Bruchstücke bekannt. Bei keinem Making of seiner Filme kommt er jemals zu Wort. Alles, was man hat, sind Beschreibungen der Schauspieler. Einer (Jim Caviezel, Hauptfigur in The thin red line) sagte einmal, gefragt danach, wer hinter dem Namen Terrence Malick stecke, dass dieser ein viel besserer Mensch als ein Regisseur sei, was kaum glaubhaft scheine, da er eben ein unheimlich guter Regisseur sei (Quelle: Making of The thin red line auf der UK PAL VHS).



Terrence Malick und die Musik



Malick hat in seinen Filmen bereits mit sehr namhaften Komponisten zusammengearbeitet. Darunter fallen Ennio Morricone, Hans Zimmer und James Horner. Für sein fünftes großes Werk heuerte er nun Alexandre Desplat an. Diese Entscheidung ist so überraschend nicht, betrachtet man die musikalische Vielfalt, zu der Desplat in der Lage ist. Und etwas anderes kommt noch dazu. Malick holt aus seinen Mitarbeitern meist Dinge hervor, die man sonst von ihnen noch nie gesehen hat. Schauspieler spielen bei ihm plötzlich Rollen, die man von ihnen vorher nicht erwartet hätte und Komponisten komponieren, wie sie es vielleicht noch nie vorher taten. Und das gilt auch für diesen Film





Terrence Malick und Alexandre Desplat



Filmkomponisten, die mit Malick arbeiten, sind vermutlich abgestoßen und begeistert zugleich, was die Zusammenarbeit mit dem Regisseur angeht. Was beispielsweise sehr merkwürdig anmutet, ist, dass der Kompositionsprozess meist beginnt, bevor die Künstler wissen, wie der Film aussehen wird. Malick gibt also Stimmungen vor, die es zu vertonen gilt, sonst nicht viel. Normalerweise ist ein Film komplett geschnitten, bevor der Komponist ihn beginnt zu vertonen. Und die Zeit, die er dafür hat, ist meist sehr knapp. Durch Terrence Malicks Art des Filmemachens haben die Komponisten natürlich eine sehr große Freiheit, was ihre Kompositionen angeht. Sie müssen sich nicht an klare Zeitvorgaben halten, sondern können, für Filmmusik relativ unüblich, frei arbeiten. Der Nachteil dabei ist, dass sie allerdings auch nie wissen, welche Musik am Ende im Film landet und welche nicht. Malick ist berüchtigt dafür, dass er im Postproduktionsprozess gern und viel Musik herausschneidet und ersetzt, vornehmlich durch klassische Kompositionen. Das gilt auch in starkem Maße für The tree of life. Über weite Strecken des Films hört man Melodien, die auf dem Soundtrack-Album nicht zu finden sind. Da tummeln sich Mozart, Brahms, Bach und Smetana, während Desplats Musik eher hintergründig bleibt. Trotzdem äußerte sich bisher kein Komponist öffentlich negativ über Malick, sondern achtet und respektiert sein Werk und seine Vorgehensweisen.


Terrence Malick und die Filmmusik sind also ein Kapitel für sich. Auf der einen Seite misst er der Musik, wie bereits erwähnt, einen großen Wert bei, wenn er Filme macht. Aber leider nicht immer zur Freude der Komponisten, die er beauftragt. Zum Beispiel war er, so die Gerüchteküche, der Regisseur, der wohl am nächsten dran war, einen James-Horner-Soundtrack abzulehnen (The new world), weil er mit der Musik nicht so ganz einverstanden war. Zu guter Letzt ersetzte er viele Abschnitte der Original-Musik durch klassische Stücke (namentlich Wagners "Rheingold" und Mozarts Klavierkonzert Nr. 23) und beschränkte sich auf den spärlichen Einsatz von Horners Material. Auch in The tree of life gibt es einen riesigen Anteil an klassischer Musik zu hören, die mit dem Soundtrack von Alexandre Desplat nichts zu tun hat. Im Folgenden soll es nun aber nur um Desplats Musik gehen, die auf dem Soundtrack-Album veröffentlicht wurde.



Die Instrumentation von The tree of life



Prinzipiell nutzt Desplat einen Großteil des klassischen Orchesters, wenn man von Percussion-Sounds einmal absieht. Das tragende Element jedoch sind die Streicher. Sie kommen in jedem Stück vor; teilweise begleitend, teilweise als Melodiestimme. Die größte Orchesterbandbreite findet sich in dem Stück "Circles", welches gleichzeitig das längste des Albums ist. Die meisten anderen Kompositionen haben ein bestimmtes Instrument im Vordergrund. Bei "Childhood", "River" und "City of Glass" ist es das Klavier (zu welchem Desplat nach eigener Aussage sowieso eine besondere Beziehung hat), bei "Clouds" und "Skies" die Harfe, bei "Emergence of life" und "Good & Evil" Solo-Streicher.





Die Kompositionsarchitektur von "The tree of life"



Es gibt in dem Soundtrack keine wirklich einprägsamen Stücke, die in ihrer Melodie unverwechselbar sind. Es gibt ein Klavierthema, welches in "Childhood" und "River" vorkommt. Ohne Klavier ist das Thema auch in "Good and evil" im Ansatz hörbar. In "Childhood" fällt ein moll-Dur-Wechsel im Thema auf, welcher schwer zu interpretieren ist. Vielleicht stehen sich gerade da der Weg der Natur und der Weg der Gnade gegenüber, die ein zentrales Thema des Filmes sind. Insgesamt ist die Musik sehr ruhig gehalten, was das kontemplative Element des Filmes unterstützt. Als Vorgabe hatte Malick Desplat gesetzt, dass der ganze Soundtrack ein fließendes Element haben sollte. Wie ein Fluss, der mal schneller und mal langsam fließt, sollte die Musik sein (Quelle: Booklet der Soundtrack-CD). Dies hat Desplat gut umgesetzt. Manchem Zuhörer könnte die Musik zu langweilig sein, was unter anderem daran liegt, dass es keine klaren Höhepunkte in ihr gibt. Es gibt keine wirklichen Abschlusskadenzen in den Kompositionen; kein klares Ende. Alle Stücke enden ohne großes Tamtam. Es gibt keine Fanfaren oder Märsche. An manchen Stellen erinnern die Kompositionen an die Minimal-Musik von Philipp Glass, wenn auch in abwechslungsreicherer Form. Alles in allem hat Alexandre Desplat einen anspruchsvollen Soundtrack geschrieben, der eben aufgrund seines Anspruches, wahrscheinlich nicht das ganz breite Publikum erreichen wird. Ähnlich ging es Hans Zimmer und James Horner mit ihren Malick-Filmen ja auch.


Spezial: Eine Betrachtung des Stückes "River"


Der Film The tree of life ist in gewisser Hinsicht wie ein Fluss, der sich, mal schneller mal langsamer, seinen Weg durch das Leben der Hauptprotagonisten sucht. Der gesamte Soundtrack fließt in vielerlei Hinsicht; fortwährend; ohne Pause. Ein Stück allerdings ragt daraus hervor. Und nicht ohne Zufall trägt es den Namen "River".


Ein Blick in die Partitur


Ein Rhythmus durchzieht die gesamten dreieinhalb Minuten des Stückes, welches vollständig in moll geschrieben ist. Es läuft durchgängig in einer Geschwindigkeit. Der Beginn ist eine reine Klaviermelodie. Diese Melodie ist, wie bereits erwähnt, ebenfalls in "Childhood" und "City of Glass" zu hören, wenn auch in variierter Form. Die Begleitung der Melodie ist geprägt durch einen fortwährenden Wechsel zwischen zwei Tönen, die in ihrer Tonhöhe stets eine Veränderung erfahren. Dieser Wechsel ist hauptverantwortlich für den fließenden Charakter des Stückes. Dieses sich ständig verändernde Zweitonmotiv wird circa ab der Hälfte der Komposition in die Hände der Streicher gegeben, während die Melodiestimme beim Klavier verbleibt. Dazu kommt ein unterstützendes Pizzicato  der tieferen Streicher. Am Ende ist noch der Einsatz eines Solo-Cellos zu vermerken, welches als eine direkte Begleitung zu der Klaviermelodie gesehen werden kann.


"River" vs "Die Moldau"


Bereits im Trailer zu The tree of life ist ein anderes Stück zu hören, welches einen Fluss charakterisiert. Streng genommen ist es das wohl bekannteste Fluss-Thema der gesamten Musikgeschichte. Die Rede ist von der Komposition "Die Moldau" aus dem Zyklus "Mein Vaterland" von Bedrich Smetana. Vielleicht ist der Vergleich Desplats mit Smetana ein sehr ungleicher, den Ersterer von vornherein nicht für sich entscheiden kann. "River" ist bei Weitem nicht so einprägsam wie "Die Moldau". Die Komposition ist auch nicht annähernd so umfangreich wie die Smetanas. Immerhin nutzt dieser die gesamte Bandbreite des klassischen Orchesters, während sich Desplat auf Streicher und das Klavier beschränkt. Es ist also anzunehmen, dass Desplat einen etwas kleineren Fluss vor Augen hatte als es die Moldau ist. Was man allerdings in Betracht ziehen muss, ist, dass es sich bei "River" eben um ein filmmusikalisches Stück handelt, welches für einen bestimmten Film komponiert wurde. "Die Moldau" steht auch wunderbar für sich selbst. Sie braucht keine Worte oder Bilder, um zu wirken. "River" dagegen erwacht erst wirklich zum Leben durch den Regisseur von The tree of life, Terrence Malick. Selbst so herausragende Soundtracks, wie die zu den Filmen Schindlers Liste oder Jurassic Park, von John Williams komponiert, entfalten sich erst in ihrer Gänze durch das Zusammenspiel mit den Bildern des Filmes. Und unter diesem Blickwinkel muss man wohl den Vergleich zwischen Desplats und Smetanas Werken sehen.



Die folgende Szene beinhaltet ein klassisches Musikstück, welches "River" sehr ähnlich ist, wenn es auch etwas positiver daherkommt. Es ist etwas verwunderlich, dass Malick Desplat nicht solche Musik hat komponieren lassen, wo dieser doch dazu sicher in der Lage gewesen wäre. Es scheint, als habe Malick zu klare Vorstellungen gehabt, wie die Musik zu dem Film aussehen sollte, sodass Desplat sie einfach nicht erfüllen konnte. Aber das bleibt eine Vermutung.




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